Dr. Virginia Satir

Die fünf Freiheiten

 

Virginia Satirs "Fünf Freiheiten" bringen zum Ausdruck, wie wir unsere Ressourcen nutzen und wie wir kreativ wählen können. Die Freiheit zu sehen und zu hören, was ist, statt zu sehen und zu hören, was sein sollte oder einmal sein wird. Die Freiheit zu sagen, was du fühlst und denkst, statt zu sagen, was du darüber sagen solltest. Die Freiheit zu fühlen, was du fühlst, statt zu fühlen, was du fühlen solltest. Die Freiheit, um das zu bitten, was du möchtest, statt immer auf die Erlaubnis dazu zu warten. Die Freiheit, um der eigenen Interessen willen Risiken einzugehen, statt sich dafür zu entscheiden, "auf Nummer Sicher zu gehen" und "das Boot nicht zum Kentern zu bringen".

 

Ungleichheit ist eine Gegebenheit.

Negative Ereignisse sollten nicht zu negativ bewertet werden.

Eltern sind Lehrer von Menschen und nicht die Besitzer von Menschen.

Das Problem ist nicht das Problem - Das Problem ist das Problem zu lösen.

Wenn man über Kommunikation spricht, meint man gewöhnlich was gesagt wird. Ich spreche von Kommunikation und meine damit alle Arten Informationen zu geben, zu erhalten und zu verarbeiten.

Unsere Körper geben uns ständig Nachrichten. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit zum Zuhören, weil das lebenswichtig ist.

Alleinsein ist nicht dasselbe wie einsam sein.

Ich möchte das Versteckte offensichtlich machen, das Abstrackte konkret und Implizite explizit und das Verborgene offen.

Man kann an jeder Erfahrung oder Situation und an jedem Problem oder jeder Krise wachsen und lernen.

Die meisten Menschen bevorzugen die Gewissheit von Elend dem Elend der Ungewissheit.

Nimm Dich in Acht vor Festlegung auf den einen "rechten" Weg.

 

Ich bin ich

 

Auf der ganzen Welt gibt es niemanden wie mich.
Es gibt Menschen, die mir in vielem gleichen,
aber niemand gleicht mir aufs Haar.
Deshalb ist alles, was von mir kommt,
mein Eigenes,
weil ich mich dazu entschlossen habe.
Alles, was mit mir zu tun hat, gehört zu mir.
Mein Körper, mit allem was er tut,
mein Kopf, mit allen Gedanken und Ideen,
meine Augen, mit allen Bildern, die sie erblicken,
meine Gefühle, gleich welcher Art -
Ärger, Freude, Frustration, Liebe, Enttäuschung,
Begeisterung.
Mein Mund und alle Worte, die aus ihm kommen,
höflich, lieb oder schroff, richtig oder falsch.
Meine Stimme, laut oder leise,
und alles, was ich mir selbst oder anderen tue.
Mir gehören meine Phantasien,
meine Träume, meine Hoffnungen, meine Befürchtungen,
mir gehören all meine Siege und Erfolge
und all meine Niederlagen und Fehler.
Weil ich mir ganz gehöre,
kann ich mich näher mit mir vertraut machen.
Dadurch kann ich mich lieben
und alles, was zu mir gehört, freundlich betrachten.
Damit ist es mir möglich,
mich voll zu entfalten.
Ich weiß, daß es einiges an mir gibt,
das mich verwirrt, und manches,
das ich noch gar nicht kenne.
Aber solange ich freundlich und liebevoll mit mir umgehe,
kann ich mutig und hoffnungsvoll
nach Lösungen für Unklarheiten schauen
und Wege suchen,
mehr über mich selbst zu erfahren.
Wie auch immer ich aussehe und mich anhöre,
was ich sage und tue,
was ich denke und fühle,
immer bin ich es.
Es hat seine Berechtigung,
weil es ein Ausdruck dessen ist,
wie es mir im Moment gerade geht.
Wenn ich später zurückschaue,
wie ich ausgesehen und mich angehört habe,
was ich gesagt und getan habe,
wie ich gedacht und gefühlt habe,
kann es sein,
daß sich einiges davon als unpassend herausstellt.
Ich kann das, was unpassend ist, ablegen
und das, was sich als passend erwiesen hat, beibehalten
und etwas Neues erfinden für das,
was ich abgelegt habe.
Ich kann sehen, hören, fühlen, denken, sprechen und
handeln.
Ich besitze die Werkzeuge, die ich zum Überleben
brauche,
mit denen ich Nähe zu anderen herstellen
und mich schöpferisch ausdrücken kann,
und die mir helfen,
einen Sinn und eine Ordnung
in der Welt der Menschen und der Dinge
um mich herum zu finden.
Ich gehöre mir
und deshalb kann ich aus mir etwas machen.
Ich bin ich
und so, wie ich bin, bin ich ganz in Ordnung.

Virginia Satir

 

Begründerin der Familientherapie

 

Virginia Satir studierte an der Universität von Chicago, war Sozialarbeiterin und Dozentin für Familientherapie, erhielt das Ehrendoktorat der Universität von Wisconsin und arbeitete als Familientherapeutin in eigener Praxis. Sie lehrte Familiendynamik am Illinois State Psychiatric Institute und gehörte seit 1959 einer Arbeitsgruppe von Psychiatern, Psychologen und Sozialarbeitern in Palo Alto an. Virginia Satir war eine der einflussreichsten Gründergestalten des familientherapeutischen Ansatzes im Bereich der Psychotherapie. In einer einzigartigen Synthese verband sie in ihrer Arbeit wesentliche Grundhaltungen der Humanistischen Psychologie in den kommunikationstheoretischen Entwürfen der Palo-Alto-Gruppe.

Unter den Begründern der Familientherapie kommt Virginia Satir eine besondere Bedeutung zu: Schon 1951 arbeitete sie als erste Therapeutin mit einer vollständigen Familie. Mit großer Schaffenskraft und Kreativität fand sie neuartige Wege des therapeutischen Zuganges für nicht therapiefähig gehaltene, hospitalisierte, psychiatrische Patienten und deren Angehörige. Sie überwand das medizinische, linear-kausale Krankheitsmodell und entwickelte auf der Grundlage eines humanistischen, wachstumsbezogenen Menschenbildes ein ganzheitlich-systemisches Behandlungsmodell.

In der Mitte der fünfziger Jahre erprobte Virginia Satir ihre neuen Ideen der Behandlung von ganzen Familien und bezog diese, für die damalige Zeit revolutionären, Vorstellungen in die Ausbildung für Psychiater mit ein. Ihre Erfahrungen tauschte sie mit Murray Bowen aus, der auch gerade erkannt hatte, welche Bedeutung die Familien seiner Patienten für deren Behandlung in seiner kinderpsychiatrischen Klinik hatte.

Virginia Satir war Mitbegründerin des Mental Research Institute (MRI, 1959, Don Jackson, Jules Riskin, Virginia Satir). Später kamen u. a. Paul Wazlawik, Jay Haley, John Weakland und Ronald Fisch hinzu. Sie hatte einen maßgeblichen Einfluß auf die dortigen Forschungs- und Denkansätze und sicherte als sehr erfahrene und anerkannte Praktikerin und Ausbilderin in Familientherapie die starterleichternde finanzielle Unterstützung des Instituts. Virginia Satir entwickelte nicht nur im fachlichen Austausch mit Kollegen ihre kreativen Ideen, sondern sie lernte besonders im lebendigen Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen jeden Alters. Über sieben Jahre (59-66) leitete sie die Ausbildungsprojekte am MRI und brachte ihre Theorien und Praxiserfahrungen zu Papier.

Sie hat mit dem in dieser Zeit entstandenen Buch "Conjoint Family Therapy" (1964, 67; dt.: "Familienbehandlung", 1973), in dem sie so wohl die frühen Erkenntnisse und Denkweisen der MRI-Gruppe aufge­nommen als auch ihre eigenen umfassenden Erfahrungen, Modelle (Selbstwert und Wachstum - mit deren Hilfe sie sehr schnell jeden Menschen auf seine Ressourcen zurückführt) und eine Vielzahl methodisch-spielerischer Vorschläge zusammengefaßt hat, ein viel beachtetes und praxisrelevantes erstes Grundlagenwerk der Familientherapie vorgelegt.

Aufgrund der vielen Nachfragen ging Virginia Satir Anfang der sechziger Jahre in viele Staaten der USA, Canada und Europa und demonstrierte ihre praktische Arbeit mit Patienten, angehenden Familientherapeuten und deren Familienangehörigen. Ihr Konzept der Arbeit mit heterogenen Gruppen setzte sie, besonders nach ihrem Weggang aus dem MRI 1967, zunehmend in allen Teilen der Welt um. Aufgrund ihrer Initiative entstanden Ausbildungsgruppen in Australien, Schweden, Deutschland (1975) und der Tschechoslowakei (1979) und in vielen anderen Staaten. Indem sie in den jeweiligen Ländern unter der Berücksichtigung der verschiedenen ethnischen, historischen und sozialen Hintergründe über mehrere Jahre (z. B. in 4-Wochen-Seminaren) den Kontakt zu den Menschen aufrecht erhielt, schaffte sie die Basis für tiefergreifende Arbeiten, auch und gerade im Kontext gesellschaftlicher Tabus. So wurden dank der von ihr entwickelten Form der Familienrekonstruktion z. B. Themen wie "Nationalsozialismus" in ihren über mehrere Generationen weitergegebenen Auswirkungen angehbar.

Neben einer Fülle von unveröffentlichten, aber viel gelesenen Manuskripten, Filmen usw. hat Virginia Satir speziell für den praktischen Gebrauch der Menschen, die mit ihrer Arbeit in Kontakt kamen, weitere 6 Bücher geschrieben. In diesen Büchern benutzt sie zur Demonstration ihrer Vorgehensweise und ihrer inneren Ausrichtung zahllose Bilder, persönliche Anekdoten, Witze, Symbole usw., die für viele erst durch ein direktes Erleben ihrer Persönlichkeit lebendig werden.

Virginia Satir hat viele Familientherapeuten, die heute mit ihrem eigenen und speziellen Stil bekannt sind, in ihrer Ausbildung gefördert, z. B. Ivan Nagy, Salvador Minuchin, Maria Gomorrhi, Maria Bosch, Carole Gammer und Martin Kirschenbaum. Hauptsächlich ihre therapeutische Arbeit und die von Milton H. Erickson wurden zu einer lebendigen Grundlage für die Neuentwicklung von Theorien und Methoden, so für die kommunikationstherapeutischen Ansätze z. B. des MRI und für das Neurolinguistische Programmieren.